Roland Fischer SZ Bühne? Frei! 30.1.2021

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Roland Fischer
Die “Soft Power” der Kunst

So langsam kann man schon von “alten Erinnerungen” sprechen: Mein letztes, rauschendes Fest war im Februar 2020 eine Einladung meines spanischen Galeristen anlässlich der Kunstmesse in Madrid, mit köstlichen, landestypischen Tapas, dichtgedrängt und laut feierten die Menschen im historischen Kellergewölbe eines Restaurants in der Nähe der Gran Via. Hiermit verbunden auch meine bis dato letzte Flugreise…, zwei Tage nach der Rückkehr nach München war Madrid bereits im 1.Lockdown, alle weiteren Kunstmessen des Jahres wurden nach und nach abgesagt.
Der 1.Lockdown bei uns in Bayern hatte für mich durchaus auch sein Gutes. Zunächst fühlte es sich an wie ein Mini-Sabbatical – endlich Ausschlafen aufgrund der geschlossenen Schulen – dann Zeit, die Studioräume neu zu gestalten, Recherchen zu betreiben, projektbezogene Themen zu vertiefen. Aber jetzt, in Runde zwei, schmerzt der Verlust gesellschaftlichen Lebens und der gewohnten Reisetätigkeit doch deutlich mehr.
Als wäre dieser Stresstest für die Menschheit nicht schon genug, erleben wir parallel, insbesondere durch die zu beobachtende Fragilisierung der amerikanischen Demokratie, eine Infragestellung unserer freiheitlichen, völlig sicher geglaubten Identität…

Ein Thema auch für die Kunst.

Mein Projekt “Façades”, für das ich weltweit in den durch die Globalisierung neu entstandenen Finanzzentren der großen Metropolen fotografiert hatte, war mit von der Überzeugung getragen, dass die zunächst ökonomische Dynamik, soviele neue Länder in ein globales Netz einzubeziehen, auch auf gesellschaftlicher bzw. kultureller Ebene grenzüberschreitende, demokratische Koexistenz beflügeln würde. Zunehmender Populismus, Protektionismus und die Politik präpotenter Staatsführer haben das Projekt der “Façades” jedoch beinahe zu einem Dokument einer “kurzen historischen Epoche” (der positiven Globalisierung) werden lassen. Nun zwingt uns wiederum die Pandemie, die die Menschen in ihre eigenen vier Wände zurückdrängt, durch die tägliche Berichterstattung der Lage aus aller Herren Länder, in internationalen Dimensionen zu denken, denn dieser Leviathan kann nur gemeinsam eingedämmt werden.

Was kann Kunst beisteuern?

Für direkte politische Wirkung ist Kunst zu sehr “Soft Power”. In trüben Zeiten kann sie aber sehr wohl gesellschaftliche Utopien formulieren (Futurismus, Dada, Neo Concretism u.a.) oder die Gemütslage der Menschen verbessern: Optimismus ist eine intrinsische Eigenschaft der Kunst. Warum sollte man diese “Soft Power” während des Lockdowns nicht auch ausgiebig für sich nutzen? Hierzu bitte unbedingt die Museen wieder öffnen!

In Sachen Restriktionen der Mobiliät bekam ich übrigens schon zeitig Anschaungsunterricht: Ebenfalls im Februar 2020 war meine Frau zu ihrem jährlichen Familienbesuch für einige Wochen in ihrer chinesischen Heimat, als das Virus zuschlug. Dreimal wurde ein möglicher Rückflugtermin gecancelt, danach gab es gar keine Flugverbindungen mehr, sodass wir mehrere Monate als Strohwitwer ausharren mussten…

Originalartikel Süddeutsche Zeitung hier
 
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