Roland Fischer im Gespräch mit Paul Wagner

 
Über die Bildhaftigkeit der Fotografie

 
Roland Fischer zählt zu den international bedeutendsten Fotokünstlern. Sein erstes Portrait-Projekt „Nonnen und Mönche“, mit dem er international bekannt wurde, konnte er bereits 1989 in einer großen Einzelausstellung im Musée d‘Art Moderne in Paris präsentieren. Ihren Anfang nahm die fotografische Karriere Fischers übrigens, als er mit vierzehn Jahren die Dunkelkammer seines Onkels erbte.

Herr Fischer, wer die Werke Ihrer Reihe Façades betrachtet, hat zunächst den Eindruck, es handelt sich um rein grafische Arbeiten. Wie finden Design und fotografische Kunst hier zusammen?

Dieses Begriffspaar spiegelt sehr schön die der Fotografie als Medium grundsätzlich innewohnende Ambivalenz, nämlich auf der einen Seite ihre Indexikalität, also die Fähigkeit, ein unvergleichlich genaues Abbild herzustellen und auf der anderen Seite die Existenz einer Fotografie als autarkes Bildwerk, bei dem der Bezug zu einem Außen obsolet geworden ist. In der Serie Façades habe ich die einzelnen Bilder so angelegt, dass beide Aspekte voll ausgeprägt sind und vor dem Auge des Betrachters ständig changieren. Design ist hier insoweit involviert, als die Oberfläche eines Geschäftsgebäudes natürlich auf  einer grafischen Gestaltung basiert.

Wo liegen die Anfänge dieses Projekts?

In Los Angeles. Dort habe ich in den neuziger Jahren gelebt, um die Serie der Los Angeles Portraits, also der sogenannten Pool-Portraits, zu realisieren. Nebenbei begann ich mich für die Oberflächen der Stadt zu interessieren, was in Los Angeles relativ naheliegt. „City of Quartz“ von Mike Davis war erschienen und Baudrillard hatte die Urbanität und die Zeichencodes von Los Angeles untersucht. Es ging z.B. darum, dass die endlosen und in regelmässige Blocks aufgeteilten Boulevards der Stadt aus einer unendlichen Wiederholung immergleicher architektonischer Versatzstücke bestehen. Das hat mich damals fasziniert. Wir haben dann auf meinen Toyota Pick Up ein Stativ montiert und sind immer wieder kreuz und quer durch die Stadt gefahren. Dabei entstanden vom fahrenden Wagen aus tausende Aufnahmen.
 
Aber erst 1997, als ich zu einem Arbeitsaufenthalt nach China eingeladen worden war und dort, auf der Shanghaier Insel Pudong zunächst, die grossen Wandflächen der ersten chinesischen Wolkenkratzer fotografierte, kam es zu einer bildlichen Lösung. Die Fassaden dieser Gebäude verhielten sich dabei wie fotografische „Ready Mades“, bei denen ich sozusagen nur noch den Ausschnitt festlegen musste. Nennen wollte ich das Ganze „China‘s New Skin“. Da aber bald klar wurde, dass diese Form der Stadtveränderung Teil des Globalisierungsprozesses war, der einige Jahre zuvor begonnen hatte, beschloss ich, das Projekt dann auch global umzusetzen. Dies führte mich in den nächsten Jahre in alle relevanten Metropolen dieser Welt, bis es vor wenigen Jahren zum Abschluss kam. Sollte der Globalisierungsprozess durch die aktuellen politischen Entwicklungen wieder zurückgefahren werden, was sich glaube ich niemand wünschen sollte, dann würden die Façades vielleicht zu einem visuellen Portrait einer bestimmten Epoche werden.

Das war sozusagen die politische Seite des Projekts. Was vom Fotografischen her auffällt, ist die konzeptuelle Strenge, mit der Sie vorgehen. Gibt Ihnen diese Klarheit die Freiheit, sich auf die Umsetzung zu konzentrieren?

Ich war eigentlich immer jemand, der erst ein Konzept entwickelt hat und dann geschaut hat, wie lässt sich das umsetzen. Bei den Pool-Portraits hatte ich z.B. die Vorstellung, die menschliche Büste in diesem starken Kontrastverhältnis zwischen dem körperlichen Teil und dem monochromen Umfeld des Blaus des Wassers darzustellen. Dies hatte relativ komplexe technische Anfoderungen zur Folge, da für die Lichtführung und zur Vermeidung von Spiegelungen auf der Wasseroberfläche riesige Aufbauten notwendig wurden, die ich mir zum Teil aus den Filmstudios kommen liess. In Deutschland konnte ich dieses Projekt nicht umsetzen, da bei Versuchen in heimischen Outdoor Pools, etwa bei Freunden am Starnberger See, uns ständig das Wetter einen Strich durch die Rechnung machte. Dann bin ich eines Tages wie erwähnt nach Los Angeles geflogen, da waren die Bedingungen perfekt. Besonders der beständig blaue Himmel und die problemlose Verfügbarkeit von privaten Pools.
Dies, also Anfang der Neunziger-Jahre, war noch die Zeit der Analogfotografie, was bedeutete, dass im Prinzip der meiste Aufwand vor dem Drücken des Auslösers stattfand, spätere Retuschemöglichkeiten waren sehr beschränkt. Heute, im Photoshopzeitalter, nimmt dagegen die Postproduction den meisten Raum ein.

Die Pool-Portraits erlebten dann eine Fortsetzung. Wie kam es dazu?

Das war 2007. In jenem Jahr hatte ich mir ein Atelier in Peking genommen, zu einer Zeit, als in China so richtig die Post abging. Die Menschen hatten einen riesigen Nachholbedarf zu feiern, Geld zu verdienen, zu konsumieren. Das brachte mich auf die Idee, das Projekt der Poolportraits dort noch einmal zu wiederholen und in jener Phase der starken sozialen Veränderungen den Fokus noch einmal auf das Individuum zu richten. Hieraus sind die Chinese Pool Portraits entstanden. Diese habe ich jedoch aufgrund der Umstände nicht im Freien, sondern in Filmstudios in Peking und Shanghai aufgenommen, wo jeweils ein Pool errichtet wurde und mit zahlreichen Reflektoren und Filmstrahlern das weiche kalifornische Tageslicht nachgebildet wurde. Und hier habe ich dann erstmals eine digitale Hasselblad eingesetzt, was u.a. eine unmittelbare Kontrolle des Fotografierten am Bildschirm ermöglichte. Aber egal wie man fotografiert, am Ende steht auch hier ein Abzug auf klassischem Fotopapier.

Das klingt alles nicht nach Dokumentarfotografie…

Es ging mir eigentlich immer mehr um das Bild als um das Abbild. Ich betrachte Bilder infolgedessen auch als Teil des visuellen Denkens, welches ja gerade nicht sprachlich ist, also erzählerisch, abbildend. Das ist keineswegs apodiktisch gemeint, sondern beschreibt nur meine bevorzugte Einsatzart des Mediums Fotografie. Denn natürlich hat Fotografie eine enorme Bandbreite, die vor allem mit der ihr innenwohnenden Fähigkeit zur Dokumentation und damit der Informationsübertragung zusammenhängt. Von der Reisefotografie über die wissenschaftliche Fotografie, Mode, Werbung, Nachrichten etc.. Im 20.Jh. bedienten sich dann mehr und mehr Künstler der unvergleichlichen Verwendungsoptionen von Fotografie in Collage, Installation, Konzeptkunst. Aber man darf nicht vergessen, dass Fotografie erst seit 30-40 Jahren die Fotografie ein vollwertiges Mitglied der zeitgenössischen Kunst ist…

Da begann sich die Bedeutung von Fotografie zu verändern?

Dadurch begann der Prozess, den man einen Paradigmenwechsel nennen kann, nämlich dass man mehr und mehr auch das Bildhafte einer Fotografie wahrzunehmen gelernt hat. Losgelöst von dem, was man auf einem Foto erkennen kann. Übrigens spielte hier das große Format eine nicht unwesentliche Rolle: vorher kannte man Fotos eigentlich nur im sogenannten Album- oder im Buchformat, was die Angewohnheit, immer nur im Bild „lesen“ zu wollen, verstärkte. Die zeitgenössischen Maler waren da schon längst zum Grossformat übergegangen.

Diese formale Befreiung hat dann vieles für die Fotografie in Gang gebracht?

Die Leute haben sich zuerst einmal vom Format, von der befreiend grossen Bildfläche beeindrucken lassen. Die Frage „Was ist das auf dem Bild und woher kommt das?“ wurde zweitrangig. Die Ambiguität des Mediums wird dadurch zwar nicht aufgehoben. Sie hat eben diese beiden Möglichkeiten, entweder abbildend, oder piktorial, als Anschauungsobjekt zu existieren. Als ich die ersten Arbeiten zu den Fassaden realisiert habe, ist mir klar geworden, dass dies ein ideales Projekt war, um die inhärente Ambivalenz einer Fotografie auf die Spitze zu treiben. Denn was Sie bei den Façades sehen, ist auf der einen Seite eine reale Abbildung eines Gebäudes, das irgendwo in irgendeiner Stadt steht, und auf der anderen Seite ein autarkes Bild, bei dem ich diese Referenz nach außen gar nicht mehr brauche. Bei dem sich das Zeichen vom Bezeichneten gelöst hat. Und bei den Fassadenbildern hat mir das immer gefallen, diese visuelle Dissonanz, bei der man sagt: Ist es jetzt ein Bild, das mich an Colour Field Paintings erinnert oder ist es das Foto von einem Gebäude?

Bei vielen Betrachtern erwecken die Façades kunstgeschichtliche Assoziationen …

Immer wieder höre ich: Das erinnert mich an Vasarely, Cruz-Diez oder Agam, an geometrische Kunst, an Zero und so weiter. Da habe ich gedacht: Das stimmt eigentlich, denn die Architekten, die diese Gebäude letztlich designt haben, haben auch Kunstgeschichte studiert. Das heißt, die Bilder der Moderne sind im kollektiven Bewusstsein und diffundieren so wieder in die Gebäudefassaden. Diese fotografiere ich und mache ein Bild daraus. Und dieses gelangt unter Umständen wieder in ein Museum.

Eine Art Kreislauf der Kunst.

Als der Erweiterungsbau des Münchner Lenbachhauses fertiggestellt wurde, habe ich die goldene Fassade von Norman Foster fotografiert. Dieses Bild befindet sich heute im Besitz des Lenbachhauses und so wanderte die Außenhülle ins Innere. Da ist dieser Kreislauf perfekt gelungen.

zuerst erschienen in: „LUST AUF GUT, Heft Nr.113, Kunst und Design“, Republic of Culture, München 2018