An der Trennwand: über Roland Fischers New Architectures

 

Sergio Rubira

2014

 

 

Das westliche Denken basiert auf Gegensatzpaaren, auf Binomen und Ausdrücken, die in einem Duell gegeneinander antreten, auf Wörtern, die positiv besetzt sind und ihren Antonymen, die mit dem Negativen verbunden werden, auf dem, was ist und dem, was nicht ist, weil es das ge- naue Gegenteil ist. Es ist eine antagonistische Denkweise, in der es keinen Platz für die Räume in der Mitte zu geben scheint, für das, was „dazwischen” liegt, was am Ende weder das eine noch das andere ist und sich in einem merkwürdigen Bereich bewegt, den man lieber zum Paradoxen zählt. Ein Versuch, die Welt zu verstehen – und zu erlernen –, der auch eine Obsession für Einteilung, Taxonomie und Katalogisierung mit sich bringt; ein Drang, der die westliche Welt seit dem 18. Jahrhundert beherrscht hat, seit dem sogenannten Jahrhundert der Aufklärung, das, wie man später herausgefunden hat, auch viele Schatten geworfen hat, vielleicht zu viele. Lichter und Schatten, die den Ursprung bilden, von dem wir alle ausgehen, wenn wir denken, und die schon präsent waren in der Form, in der die Griechen die Ordnung des Universums verstanden, dieses wesentlichen – und endgültigen – Chaos, das eigenschaftslos ist, ungeschaffen, unreduzierbar und ewig, und dem man Grenzen setzen musste, Grenzen, die einen grausamen Kampf zwischen gegensätzlichen Eigenschaften mit sich brachten und die den Charakter einer Materie definierten, je nachdem, ob die eine oder andere Eigen- schaft sich durchsetzte: das Kalte oder das Warme, das Feuchte oder das Trockene, das Wasser oder das Feuer… Diese dualistische Vision des Kosmos, die, wie es heißt, auf Anaximander von Milet zurückgeht, wurde von den Pythagoreern übernommen und bis heute überliefert. Die Pythagoreer unterschieden bis zu zehn Gegensatzpaaren – Grenze-Unbegrenztes, Gerades-Ungerades (von Zahlen), Eines-Vielheit, Rechtes-Linkes, Männliches-Weibliches, Ruhendes-Bewegtes, Geradliniges-Krummes, Licht-Finsternis, Gutes-Böses und Quadrate-Rechtecke –, die wiederum miteinander verbunden waren und durch die Einführung des Binoms „Gutes-Schlechtes“, das mit der Zeit alle – und noch andere – bestimmen würde, einem moralischen Urteil unterworfen waren.

Und doch vergaßen sie – wie wir heute noch – das, was die Begriffe trennte, jenen Bindestrich zwischen einem Wort und dem anderen, jene Linie, die es erlaubte, einen Begriff von seinem Gegenteil zu unterscheiden, und das ist ohne Frage der Raum, der Roland Fischers Tätigkeit im Laufe der Jahre geprägt hat. Eine Tätigkeit, die sich und ihn „dazwischen“ ansiedelt, und die sich den Klassifizie- rungen entzieht, vor ihnen flieht und flüchtet. Für manche ist sein Werk fotografisch im engsten Sinn, weil es durch das Mittel – oder die Technik – definiert wird und auch wegen seinem Bezug zur Wirklichkeit, die es abbildet; für andere jedoch hat es mehr mit Malerei zu tun, weil es viele ihrer Mittel verwendet, oder sogar mit Bildhauerei, wegen seines Interesses für Volumen und der Objektheit, die seine Bilder ausstrahlen, wenn man sie aufhängt. Eine Debatte, die, wie sich bald herausstellt, unlösbar ist, weil sein Werk all das ist und noch viel mehr.

Beinahe seit dem Beginn seines Schaffens hat er sich auf diese feine Schicht konzentriert, die die Dinge trennt. Er hat es in all seinen Porträtserien getan, angefangen von Nuns and Monks (1986) bis zu denen, die er in Pools in Los Angeles und Peking aufnahm, oder den in China und Spanien entstandenen Kollektivporträts, in denen der Konflikt zwischen eigener Identität und Gruppenidentität aufgezeigt wird, zwischen Individuellem und Kollektivem, Subjekt und Masse, Privatem und Öffentlichem, Meinem und Unserem, wobei er die Oberfläche der Fotografien zu dem Ort macht, an dem sich diese Widersprüche aufzulösen scheinen.

Und das gleiche gilt auch für seine Architekturfotografien. In der Serie Façaden, die noch nicht abgeschlossen ist, konzentriert er sich auf jene Gebäudegrenzen, die den Unterschied zwischen dem was drinnen ist und dem was draußen ist, festlegen, zwischen dem Inneren und dem Äußeren, dem Privaten und dem Öffentlichen, einmal mehr. Aber hier geht er mit diesem „Dazwischensein“ und in gewisser Weise auch „Dagegensein“ noch weiter und bricht ein weiteres Begriffspaar auf, das zur Interpretation der Art und Weise, wie eine Fotografie gelesen werden muss, gedient hat: das Prinzip des studium und des punctum, von dem Roland Barthes in seinem stark autobiographischenEssay Die helle Kammer (1980) sprach. Auf diesen Fassaden wurde das studium, das, worüber das Bild informiert und das mit der abgebildeten Wirklichkeit verbunden ist, ausgeschlossen – es erscheint nur im Titel auf dem Infoschild – und die Fotografie ist nur punctum, das, was spitz ist und sticht, den Betrachter verletzt, und das füllt das ganze Bild aus, ein ums andere Mal wiederholt bis zur Unendlichkeit.

In Cathedrals hingegen bringt ihn die Erforschung des Grenzraums zur umgekehrten Vorgehensweise und auf dem Bild dominiert das studium, in einer Weise, die es schwierig macht, ein einziges punktum festzulegen, weil es vielleicht das ganze Bild ist. Die Fotografien enthalten die gesamte Information, die sie darstellen, es wurde registriert, was drinnen und was draußen ist: die Fassade und die Innenräume dieser gotischen Kathedralen, die er über Jahre fotografierte. Fischer ist es gelungen, „durch“ und nicht nur „auf“ etwas zu blicken. Die Fotografien werden zu einer Netzhaut, auf die in verschiedenen Momenten aufgenommene Bilder gleichzeitig projiziert werden. Unsere Wahrnehmung wird verändert und bringt uns an einen unbestimmten Ort ohne Gewissheiten, an die Trennwand, wie sie in der Architektur genannt wird, die Wand, die zwischen zwei Häusern liegt und von der man nicht recht weiß, wohin sie gehört, obwohl sie in beide Richtungen zeigt.

Etwas Ähnliches geschieht in der Serie New Architectures. Auf diesen Bildern werden verschiedene Perspektiven von architekturgeschichtlich bedeutenden Gebäuden überlagert, um eine Avantgardetradition fortzuführen, die nach neuen Dimensionen suchte – eine davon war die Zeit –, die weiter gingen als die Höhe, Breite und Tiefe, die den Raum und seine Darstellung hier, früher und heute dominierten. Wieder ist es unmöglich, das Äußere vom Inneren zu unterscheiden, das was sich auf der einen Seite befindet von dem gegenüber, das Linke vom Rechten, das Neben- sächliche vom Wichtigen, wie etwa bei der Villa Savoye von Le Corbusier, die nicht bewohnbar wirkt, sondern sich selbst zu enthalten scheint, oder bei den Häusern von Luis Barragán, mit ihren unwahrscheinlichen Farben, die durch die Überlagerung unmöglich werden. Doch das Bild, das vielleicht am besten zeigt, wie die Konventionen, an die man uns gewöhnt hat, aufgebrochen werden, ist der Pavillon Mies Van der Rohe in Barcelona: ein Fenster mit einem vorgezogenen Vorhang, der uns nicht durchblicken lässt und zugleich alles zeigt. Denn das Wichtige ist wie gesagt nicht das, was etwas ist oder nicht ist, sondern das, was dazwischen liegt: die Trennwand.

 

 

Sergio Rubira is a philosopher and art critic based in Madrid

 

 

Sergio Rubira „An der Trennwand, über Roland Fischers New Architectures“ in: Roland Fischer ARCHITECTURES, Museo Casal Solleric, Exhibition Catalog, Palma 2014

 

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