„Ich denke nicht nur an das Einzelbild, sondern immer auch an die Wirkung der Serie im Raum.“

Roland Fischer im Gespräch mit Meinrad Maria Grewenig

2012

 

Meinrad Maria Grewenig: Diese Auseinandersetzung in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahr- hunderts: einerseits die Fotografie, die zu der Zeit noch gar keine Kunst ist, andererseits Künstler, die gemalt und gebildhauert, die Installationen und Performances durchgeführt haben. Wie ist das mit der Fotografie zusammengegangen?

Roland Fischer: Ich persönlich glaube, dass die Akzeptanz der Fotokunst ohne die vorangegangene Periode der Konzeptkunst und Minimal Art nicht so ohne Weiteres möglich gewesen wäre oder länger gedauert hätte. Die Konzeptkunst hat einen völlig neuen Blick auf Dinge gelehrt, besonders dass die Kraft eines Gedankens ausreichend ist, um ein Kunstwerk zu schaffen, und oft sogar nur eine Idee, die durch den Künstler überhaupt nicht als Objekt ausgeführt wurde, verkaufbare Kunst sein kann. Auch die Performancekunst war ein Wegbereiter, der eng auf die Fotografie angewiesen war und diese auch in ungewohnter Art zu Dokumentationszwecken einsetzte. Diese Kunstbewegungen führten zu einem Paradigmenwechsel im Denken. Man gewöhnte sich langsam daran, beim Betrachten eines Kunstwerks auch den Kontext seiner Entstehung mitzudenken und vom reinen Augenschein des Materials auf eine zugrundeliegende oder übergeordnete konzeptuelle Idee zu schließen. Das alles sollte sehr wichtig werden für den Umgang mit Fotokunst.

Meinrad Maria Grewenig: Du warst einer der Ersten, der richtig große Formate in der Fotografie eingesetzt hat, das war ja damals ein enormer Schritt. Wie ist das von den Zeitgenossen aufgenommen worden?

Roland Fischer: Zunächst hatte ich Experimente mit Porträts gemacht. Ich wollte jedoch vom Abbild zum Bild gelangen und da hat es sich auf ganz natürliche Weise ergeben, dass ich große Abzüge gemacht habe, bei denen eine Fotografie eben auch eine räumliche Präsenz bekam. Ganz am Anfang waren diese noch in Schwarz-Weiß, die haben wir in meinem kleinen Studio auf dem Boden entwi- ckelt, bis zu zwei Metern Größe.

Meinrad Maria Grewenig: Du hast von dem Konzept gesprochen, das zentraler Gegenstand der damals aktuellen Kunst war. Wenn man Deine „Nonnen und Mönche“ anschaut, hast Du eine Welt, die vollständig verborgen ist, rausgenommen aus dem Dunkel der Klöster und hast sie ganz massiv in die Fotografie gestellt. Diese Gesichter sind extrem aufregend und haben mit ihrer gigantischen Dimension alles bis dahin an Porträts Vorstellbare in den Schatten gestellt. War das für Dich der Durchbruch zu Deiner Kunst?

Roland Fischer: Damit hatte ich meine Bildsprache gefunden. Die Porträts der Nonnen und Mönche folgten auf meine Schwarz-Weiß-Porträts von Persönlichkeiten, die teilweise berühmt oder auch ganz normale Personen waren. Als ich in einer meiner Ausstellungen mit den Schwarz-Weiß-Porträts stand, fiel mir auf, dass diese doch noch zu sehr vom Inhaltlichen bestimmt waren. Die Größe war zwar richtig, aber ich wollte eine formal noch stärkere Präsenz schaffen, indem das Gesicht nicht mehr in einer räumlichen Umgebung abgebildet, sondern umhüllt und damit separiert wurde. Deshalb kam ich auf die Nonnen bzw. Mönche. Mir wurde klar, dass diese eine Gruppe in der Gesell- schaft bilden, die sich nicht nur sozial stark abgrenzt, sondern auch formal. Die Nonnen und Mönche haben mit ihrer Ordenstracht bereits eine sehr starke Abstraktion der menschlichen Figur und eben auch des menschlichen Porträts geschaffen, das fast schon einem „Ready Made“ gleichkam. Ich musste sie also nur noch fotografieren und hatte jetzt diese starken formalen Bildelemente, die der Fotoarbeit über das Wiedererkennbare hinaus eine visuelle Spannung geben und diese gleichzeitig durch den konzeptionellen Ansatz für Interpretation offener machte.

Meinrad Maria Grewenig: Wie kam es dann zu dem Schritt von den „Nonnen und Mönchen“ zu den Porträts in den Pools in Los Angeles?

Roland Fischer: Diese beiden Projekte, so disparat sie auch optisch erscheinen mögen, sind doch eng miteinander verbunden. Nach den „Nonnen und Mönchen“ wollte ich die Abstraktion des Bildes noch etwas verschärfen und entwickelte ein Bildkonzept, in dem der Kopf bzw. die Büste jetzt nicht mehr verhüllt, sondern entblößt sein sollte, eingetaucht bis zu den Schultern im monochromen Blau eines Pools.

Meinrad Maria Grewenig: Gehen wir einen Schritt weiter: Deine „Los Angeles Portraits“ sind im Grunde nur in den Pools in Kalifornien möglich gewesen. Später hast Du in China neue Pool-Porträts geschaffen. Das war ganz anders, wie bist Du da vorgegangen?

Roland Fischer: Die „Los Angeles Portraits“ sind Anfang der 90er Jahre entstanden. Die einzelne Person habe ich ohne persönliche Attribute wie Haarstil oder Kleidung dargestellt. Dadurch hatte es für mich auch immer etwas von „jeder Mensch in seiner Nacht“, es war also auch eine Reflexion über die Einsamkeit des Menschen und über die Frage: Was ist denn eigentlich das sogenannte Individuelle? Als ich 15 Jahre später in China war – das Land machte gerade den schnellsten Modernisierungs- prozess der modernen Geschichte durch, mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Profitsucht, Machtgier, Konkurrenzdruck – kam mir der Gedanke, gerade auch wegen der chinesischen Menschen- massen, den Fokus noch einmal auf das Individuum zu richten und dafür mein Los Angeles-Projekt dort zu wiederholen.

Meinrad Maria Grewenig: Aber es wurde ja nicht vom Konzept her wiederholt, sondern Du hast bestimmte Randbedingungen vollständig verändert, obwohl das Ergebnis der Porträts in China dem der „Los Angeles Portraits“ relativ ähnlich ist.

Roland Fischer: Ja, man hat sozusagen eine gewisse Vorstellung, wie man ein solches Projekt reali- sieren möchte. Bei der Arbeit oder durch äußere Bedingungen ergeben sich oft Änderungen. Das müsste ich jetzt technisch erläutern. Anfang der 90er Jahre gab es noch keine digitalen Bildbearbei- tungsmöglichkeiten. Es musste das, was man später auf dem Abzug sehen wollte, vor Ort geschaffen werden. Da ich die Bilder, die ich haben wollte, so nicht in der Realität finden konnte, musste ich mir meine „Bildwirklichkeit“ vor Ort konstruieren. Der blaue Himmel, das Licht und sehr viele Outdoor- Pools waren gegeben. Zur Lichtsteuerung und zur Vermeidung von Reflexionen auf der Wasserober- fläche stellten wir große schwarze Planen und verschiedene Aufheller hin. Als ich das Projekt dann 2007 in China wiederholen wollte, sorgten schon die äußeren Bedingungen für Veränderungen. Wegen des Smogs und kaum vorhandener Außenpools musste über Alternativen nachgedacht werden. Ein Filmproduzent, den ich in Schanghai kennengelernt hatte, empfahl mir, alles in einem großen Filmstudio nachbauen zu lassen. Meine Bedenken bezüglich des Lichts – es ist bekannt, wie schwer weiches Tageslicht künstlich zu erzeugen ist – konnte er zerstreuen, indem er den Lichtmeister von Wang Kar Wai engagierte. Dieser kam dann mit seinen zehn Assistenten, die einen großen Pool von acht Metern Länge in das Studio eingebaut haben und mit riesigen Strahlern, Blenden und Reflektoren das Ganze aussehen ließen wie ein großes Space Shuttle. In dieser Installation habe ich dann die chinesischen „Pool Portraits“ in Schanghai aufgenommen und in Peking wurde es ein paar Wochen später noch einmal wiederholt.

Meinrad Maria Grewenig: In Deinem Werk kommen dann die Architekturen, die „Kathedralen“. Im Grunde ist es von der Anmutung etwas anderes als diese Porträts, konzeptuell ist es aber dasselbe. Diese Hinwendung zu Bildern von Architekturen, die mehr sind als nur die Wiedergabe einer Fassade oder eines Innenraums. Was hat Dich darin bewegt?

Roland Fischer: Nach diesen beiden größeren Porträtprojekten begann ich mich mehr und mehr für Architektur zu interessieren, wusste aber zunächst nicht, wie ich sie für ein eigenes Projekt einsetzen könnte. Mir gefielen aber die beiden „Aggregatzustände“ jedes Raumes in Bezug auf den Menschen, das Innen und Außen. Daraus entwickelte ich die Idee der Überlagerung der Außenfront eines Gebäu- des mit seinem Inneren. So kam es zu den Kathedralenbildern.

Meinrad Maria Grewenig: Mir scheint, dass Dir mit Deinen Bildern Vollbegriffe von Architektur ge- lungen sind, die in diesem fotografischen Bild viel mehr vermitteln, als das übliche zweidimensionale Kunstformen vermögen. Wenn man jetzt den Blick hinwendet zu Deinen jüngsten Arbeiten, in denen es um Fassaden oder Fassadenfragmente geht, entsteht plötzlich etwas, das kunsthistorisch extrem aufregend ist. Die Bilder erscheinen wie konkrete Kunst in einer zweiten, neuen Phase, sind aber Foto- grafien, sind nicht konstruiert, sondern sind Abbildungen aus der Welt, die aber ein ganz bestimmtes konzeptuelles Gepräge haben.

Roland Fischer: Die Fassaden habe ich so aufgenommen und beschnitten, dass sie einerseits als eigenständiges Bildwerk, autark ohne jede Referenz nach außen bestehen. Deswegen denken manche Menschen beim ersten Sehen von Weitem an eine Art Color-Field-Painting oder eben konkrete Kunst. Trotzdem hat jeder Pixel oder jedes Korn des Bildes noch eine eindeutige Referenz zu einer Realität in einer urbanen Situation. Mir gefällt bei diesem Projekt dieser ständige Bedeutungswechsel auf der Bildoberfläche, den man so nur mit Fotografie erzielen kann.

Meinrad Maria Grewenig: Wo geht die Kunst des 21. Jahrhunderts hin? Wir haben ja in Deinem Werk Konzepte, die hochkomplex sind, und Ergebnisse, die im Grunde auf einer Linie stehen, die eine große Tradition haben, und trotzdem stellen sich immer wieder neue, auch völlig ungeahnte Bildhorizonte dar. Ist das die Zukunft der Kunst?

Roland Fischer: Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr nur Bildhauerei und Malerei gibt, sondern die zeitgenössische Kunstproduktion sich in viele verschiedene Medien aufgefächert hat. Die Fotografie war hier ein erstes wirklich neues Medium, das sich in der zeitgenössischen Kunst etabliert hat. Ob es durch andere Medien noch einmal eine so nachhaltige kunstgeschichtliche „Peripetie“ geben kann, wie sie die Fotografie ausgelöst hat, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist die mediale Vielfalt Ausdruck unserer heutigen Zeit – Technologien haben den Alltag der Menschen verändert und das findet sich natürlich auch in der zeitgenössischen Kunst wieder. Es kann aber auch sein, dass die Zukunft der Kunst mehr von Kulturen geprägt wird, die zum Beispiel aus den sogenannten BRICS-Staaten kommen, von denen etwa China schon einen relativ großen Fußabdruck in der Kunstwelt hinterlassen hat. Genau so, wie die Bedeutung einer Fotografie je nach Kontext stark changieren kann, gibt es in der zeitgenössischen Kunst ganz allgemein immer mehr interkulturelles Crossover, ein Prozess der Verschmelzung diverser Kulturen, was oft zu beeindruckenden Ergebnissen führt. Die Zukunft der Kunst wird auf jeden Fall nicht übersichtlicher.

Meinrad Maria Grewenig: Also, diese Idee des Globalen, wie geht das zusammen? Du bist in Saarbrücken 1958 geboren. Du hast heute Ateliers in München und in Beijing in China, das heißt also: die globale Dimension – wie ist da der Bezug zu den saarländischen Wurzeln?

Roland Fischer: Ich bin hier geboren und habe ein paar Jahre hier gelebt, bevor wir umgezogen sind. Ein gewisses Heimatgefühl bleibt, meine Schwester lebt hier, es gibt durchaus noch Verbindungs- punkte.

Meinrad Maria Grewenig: Deine Ausstellung hier im Saarland.Museum in der Modernen Galerie ist nach vielen Jahrzehnten Deine zweite Ausstellung und eine der Ersten, die seit vielen Jahren wieder im deutschsprachigen Raum stattfindet. Hat dieses Projekt, das wir hier ja im Rahmen von MONO2012 in der Großregion zeigen, parallel zur dOCUMENTA (13), einen besonderen Stellenwert für Dich?

Roland Fischer: Dass ich aufgrund der gerade abgeschlossenen Renovierungsarbeiten und bevor die ständige Sammlung wieder Einzug hält, alle sechs Säle der Pavillons bespielen kann, macht es in der Tat für mich zu einer ganz außergewöhnlichen Ausstellungssituation. Für einen Künstler wie mich, der in Serien arbeitet, ist es immer eine Wunschvorstellung, diese in aufeinanderfolgenden Räumen zu zeigen. Dass die einzelnen Säle der Pavillons quadratisch und mit 400 qm alle gleich groß sind, ist ein weiterer Pluspunkt. Wenn ich Fotos innerhalb eines Projektes mache, denke ich nicht nur an das Einzelbild, sondern immer auch an die Wirkung der Serie im Raum. Das ist für mich ein wichtiger Punkt, sozusagen das Erlebnis in einer räumlichen Situation. Und hier habe ich jetzt die Möglichkeit von einem Raum zum anderen, von einem Projekt zum anderen zu gehen. Diese Transition von einem Projekt, das sich aus einem anderen entwickelt hat, darzustellen und zu erleben, das macht sehr viel Spaß.

Meinrad Maria Grewenig: Auch wir finden es im Saarland.Museum hochspannend, dass zum ersten Mal diese sechs Pavillons von einem einzigen Künstler und seinem Werk gefüllt werden. Dies ist natür- lich auch historisch ein aufregender Punkt für das Museum.

Roland Fischer, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

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