Roswitha Siewert (deutsch)

 
Einführung in das Werk Roland Fischers
 
Roland Fischer (1958 geboren, lebt und arbeitet in München und Los Angeles) ist mit
internationalen Ausstellungen seit 1979 als einer der bedeutenden Fotokünstler der junge-
ren Generation bekannt geworden. Die Faszination seiner „Gesichter der Stille“,
seiner Porträts der „Nonnen und Mönche“ (Paris, Musée d’Art Moderne 1989), ist unvergeßlich.
Die abstrakte Ebene dieser Ruhe schwingt in allen weiteren Arbeiten mit.
„Kathedralen“ und „Knockouts“: der An- und Einblick hymnisch verehrter Kirchen-
gebäude der Gotik und die Entscheidungssekunde von Sieg oder Niederlage im wieder
aktualisierten sportlichen Boxkampf sind die zwei Extremsituationen, die das vorgegebene
und ausgewählte Erfahrungsbild der ausgestellten Arbeiten von Roland Fischer liefern.
Technisches und künstlerisches Ausgangsmaterial der Bilder sind Fotografien und eine
computergesteuerte Bildauswahl.
„Kathedralen“: Geschichtete Bauaufnahmen bringen in ihrer eindringlichen Transparenz
eines Innen- und Außenraumes ein verbales Wortgebäude aus theologischen Programmen
zur Gotik, kunsthistorischen Fragen von Form und Inhalt, das Besondere und Allgemeine
in sich ergänzenden Kontrastpaaren in Bewegung. Die erneuerte Aktualität und konzen-
trierte Beschwörung diaphaner Flächendurchdringungen wird über die Vielfalt von Linien,
Kanten und Graten nachgezeichnet – obwohl in Stein geschrieben, Farben schimmern in
Regenbogenvielfalt auf.
„Knockouts“: Dagegen scheinen die schillernden Farborgien aus fallenden Kämpfern
und Opfern vor kontrastreichen Hintergründen die im Menschen schlummernde Agressi-
vität und brutale Gewalt zu überlisten. Aufgeputschte Emotionen werden in Ersatzhandlung
und im ritualisierten Ende zur sportlichen Fairness kanalisiert. Der existentielle Augenblick
zwischen Leben und Tod, der durch den gezielten Treffer Farb- und Formkonzentrat bis zur
Verwischung und Auflösung wird, ist Thema.
Himmlisches Jerusalem in den Kathedralenbildern“ und höllisches Inferno in den
„Knockouts“ ergänzen sich und stellen sich in Frage. Roland Fischer hat die Arbeiten zum
größten Teil eigens neu für diese Ausstellung hergestellt und in der Konzeption zugespitzt.
Anne Wauters, Kunsthistorikerin in Brüssel, ist der ganzen Vielfalt von Überlegungen
und Ideen zur visuellen Konzeption im Werke von Roland Fischer ausführlich und einfühl-
sam nachgegangen. Wir danken für ihren Beitrag, der durch die dreisprachige Wieder-
gabe im Katalog wiederum unserem internationalen Anspruch entgegenkommt.
Fotografie als künstlerisches Mittel der Selbstdarstellung und als Weg zur Erkenntnis
gehört zum Ausstellungskonzept der Overbeck-Gesellschaft. Diese Kunst gibt Auskunft
über ein spezielles, differenziertes, visuelles Denken. Irritiert durch die ungewöhnlichen
Sichtweisen moderner Fotokunst, fallen die Kathedralenbilder von Roland Fischer für die
Lübecker Kunstbegeisterten auf einen weiteren, einen doppelten Boden. Sie leben in einer
Stadt der Backsteingotik und sie hatten mit dem Fotagrafen Castelli einen höchst sensiblen
Dokumentaristen ihrer Kirchen.
Die monumentalen Bilder Roland Fischers vertreten ein Kunstprinzip, das durch die
optische Wahrnehmung filigranster Transparenzen eines Innen und Außen ein Höchstmaß
an menschlicher Freiheit verspricht.

Roswitha Siewert 1997
(Künstlerische Leiterin der Overbeck-Gesellschaft)

Veröffentlicht in: Roland Fischer, Overbeck-Gesellschaft Lübeck