Israelische Identitätsbrüche

 
Moshe Zuckermann

2016

Das „Israelische Kollektivportrait“ von Roland Fischer besteht aus Hunderten zu einem Riesentableau zusammengefassten Einzelportraits israelischer Studentinnen und Studenten der Tel Aviv Universität. Auffällig an ihm ist die – ihrem Aussehen nach – große Heterogenität der abgelichteten Personen. Es lässt sich freilich fragen, ob dies spezifisch israelisch sei. Ergäbe ein französisches, deutsches oder norwegisches Kollektivportrait nicht eine vergleichbare Vielfalt an Gesichtern von Menschen unterschiedlicher ethnischer, religiöser, kultureller oder sonstiger Gruppenzugehörigkeit? Ist im gegenwärtigen Zeitalter ökonomischer Globalisierung und massiver Migrationsschübe das Plurale nicht längst schon zum Standardbild westlicher Städte und Metropolen geronnen? Gibt es noch das genuin deutsche, französische oder norwegische Stadtbild, wenn von den Menschen die Rede ist, die die Städte bevölkern? Darüber hinaus mag man sich auch fragen, was die äußeren Konterfeis über die Gesinnungen, Anschauungen, Ideologien, mithin die Identitäten der aufgenommenen Personen vermitteln können. Eine Annäherung an die Beantwortung dieser Frage unternimmt Roland Fischer in seinem Film „A Normal Day on Rothschild Boulevard“, der die Montage der Äußerungen von Passanten zum Inhalt hat, die Fischer an einem gewöhnlichen, willkürlich gewählten Tag auf dem Tel Aviver Rothschild-Boulevard interviewt hat. Auch die Auswahl der befragten Personen wurde dem Zufall überlassen und doch generieren ihre Antworten das höchst interessante Spiegelbild der Dialektik der kollektiven Einheitlichkeit und der individuellen Partikularität der israelischen Identität und ihrer Brüche. Dass diese punktuell erfasste Melange eine historische wie soziologische Tiefendimension aufweist, soll im Folgenden erörtert werden.

Seit Jahren scheint sich das Problem der israelischen Identität gleichsam von selbst zu lösen: Es herrscht ein blutiger Kampf mit den Palästinensern, und wie man weiß, wirkt gemeinhin nichts kohäsiver auf heterogene Gebilde als die Macht äußerer Bedrohung; bei Kriegen und Naturkatastrophen pflegen sich von Gegensätzen und Widersprüchen durchwirkte Nationalgemeinschaften nach innen hin zu solidarisieren und die Räson „nationaler Einheit“ zu wahren. Gleichwohl wird dieser Vorgang von einer trügerischen Ideologie getragen. Denn nicht nur ist die israelische Gesellschaft von einer bedrohlichen Zerrissenheit gebeutelt, sondern der diese Gesellschaft einfassende Staat bzw. die ihm vermeintlich eindeutig unterliegende und selbstbewusst proklamierte Identität werden zunehmend im öffentlichen Diskurs hinterfragt. Die Dominanz der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung kann nur vordergründig über die innerisraelische Zerrissenheit hinwegtäuschen. Dass dabei zwischen der äußeren Bedrohung und dem inneren Konfliktpotential eine Kausalbeziehung besteht, kann – zumindest hypothetisch – angenommen werden: Nicht undenkbar, dass die äußere Bedrohung als solche „aufrechterhalten“ wird, damit die bedrohliche innere Explosivität entschärft bzw. vertagt und mithin die „Sicherheitsfrage“ ideologisiert werden kann.

Das Problem der „Identität“ verweist dabei nicht nur auf Befindlichkeiten und öffentlich inszenierte Nabelschauen, sondern berührt in der Tat gravierende Strukturmomente der israelischen Gesellschaft, die sich wiederum gewissen Widersprüchen und Aporien in der klassischen Ideologie des Zionismus bzw. der entstandenen Diskrepanz zwischen den Postulaten dieser Ideologie und der aus ihnen hervorgegangenen historischen Praktiken verdanken.

Bekanntlich basierte die zionistische Ideologie von Anbeginn an auf der Forderung einer grundsätzlichen Negation der Diaspora. Das jüdische Exilleben, welches angesichts der jahrhundertealten Verfolgung der Juden bzw. ihrer Ausgrenzung innerhalb der jeweiligen Residenzgesellschaft als degeneriert begriffen wurde, sollte zugunsten der Grundlegung eines neuen jüdischen gesellschaftlichen Seins und d.h. der Schaffung eines sogenannten „Neuen Juden“ aufgegeben werden. Die historische Verwirklichung dieser Ideale ging mit zwei eigentümlichen Abläufen einher, die sich auf die Gesamtstruktur des Zionismus auswirkten. Zum einen vollzog sich die territoriale Bestimmung des zionistischen Staates noch bevor es die ihn zu bevölkernde Gesellschaft im soziologischen, geschweige denn den diese Gesellschaft einfassenden Staat im politischen Sinne gab. Dass dabei gerade das Territorium Palästinas bzw. Eretz Israels ins Auge gefasst wurde, resultiert aus dem archaisch-mythischen Anspruch auf das von Gott verheißene Land Israel, der sich als „jüdisch“ versteht. Dass diese Bestimmung zudem mit dem Ideologem von „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ gerechtfertigt und damit politisch verfestigt wurde, liegt dem im Zionismus von Anbeginn angelegten Konflikt zwischen Juden und Palästinensern zugrunde. Zum anderen – damit gleichwohl strukturell einhergehend – musste die Gesellschaft, die den visionär angepeilten Staat bevölkern sollte, nicht nur konsolidiert, sondern erst eigentlich geschaffen werden, d.h. versammelt und künstlich zusammengesetzt bzw. -gefügt werden. Im Gegensatz zu allen, wenn auch je unterschiedlich abgelaufenen europäischen Nationalstaatsbildungen, die  auf einem bereits jahrhunderte- bzw. jahrtausendelang existierenden Bevölkerungskollektiv auf einem mehr oder minder gleichbleibenden Territorium basierten, musste das in aller Herren Länder verstreute Exiljudentum erst zusammengeführt, miteinander vermengt und im Sinne der Idealvorstellung vom Neuen Juden verschmolzen werden. Hierin nun waren jene Widersprüche angelegt, die sich späterhin als strukturelle Konfliktachsen der israelischen Gesellschaft erweisen sollten.

Denn während sich der klassische politische Zionismus – sei’s in seiner osteuropäischen sozialistischen, sei’s in seiner mittel- bzw. westeuropäischen liberalen Ausprägung – als eine säkulare nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes verstand, war das religiöse Moment konstitutiv in seine Selbstbestimmung eingegangen: eben als Kriterium für den Anspruch auf Zugehörigkeit zum zionistischen Staat und in der raison d’être seiner spezifischen territorialen Bestimmung. Obgleich sich der zionistische Staat  einer westlichen bzw. europäischen Form der nationalen Konsolidierung verschrieb, war er jedoch spätestens nach der Gründung des Staates und in Folge des 1948er Kriegs darauf angewiesen, einen massiven Bevölkerungsimport aus dem außereuropäischen Raum zu proklamieren und aktiv zu organisieren. Während er sich in seinen real dominierenden prästaatlichen Grundwerten als spezifisch sozialistisch, späterhin sozialdemokratisch verstand, war das diesen Grundwerten innewohnende Universelle von vornherein durch das Primat des Jüdischen beschränkt, zum anderen aber durch den sich bald nach der Staatsgründung, spätestens nach dem 1967er Krieg endgültig zum Ausbruch gelangten Kapitalismus kontaminiert. Dem verschwistert: Während sich der Zionismus der Idee des westlichen Bürgerstaates und mithin dem universellen Konzept des Staatsbürgers verpflichtet wusste, wurde schon in der Definition des Staates Israel als Judenstaat dies Universelle formal unterminiert, spätestens nach 1948 jedoch durch die in Israel verbliebene, große arabische Minorität, die von Anbeginn an das Leben von Bürgern zweiter Klasse zu fristen hatte, soziologisch real widerlegt.

Was sich zunächst aber als ideologisch widersprüchlich ausnehmen mochte, wurde nun gerade durch die staatstragende Ideologie des Zionismus überdeckt. Über Jahrzehnte erfüllten die klassischen Ideen des Zionismus jene ideologische Kittfunktion, die es einerseits ermöglichte, das Heterogene vermittels der Ideologisierung der von außen kommenden Bedrohungen des jüdischen Staates – sei’s als Ideologisierung der realen Sicherheitsfrage, sei’s als Ideologisierung der zum teleologischen Narrativ des Zionismus funktionalisierten, im Holocaust zur Kulmination gelangten jüdischen Leidensgeschichte – zu homogenisieren; andererseits aber auch jeglichen aus besagter Heterogenität strukturell entstehenden Konflikt unter den tagespolitischen Teppich zu kehren und somit zu vertagen. Es ist nun genau dieser lange ideologische Kitt, der in den letzten drei Jahrzehnten seinen Kohäsionscharakter einzubüßen begann und damit die Frage der sogenannten „israelischen Identität“ vom Zaune brach. Zutage traten dabei jene Konfliktherde, welche heute die bis dahin als selbstverständlich hingenommene Identität nach und nach in Frage stellen: Der erstarkte religiöse Block in Israels Politlandschaft hat einen neuen jüdisch-religiösen Diskurs mit politischem Anspruch in Israels politische Kultur eingebracht, wobei sich die Orthodoxen zunehmend nationalisierten, während die Nationalreligiösen immer orthodoxer wurden. Es ist nicht übertrieben, von einem drohenden Kulturkampf zu reden, bei dem alle erdenklichen Neuralgien des klassischen Zionismus angerührt werden. Die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Shas-Partei, der parlamentarischen Bewegung orthodoxer orientalischer Juden, sowie die Herausbildung einer argumentationskräftigen jungen orientalisch-jüdischen Intelligenz haben die Kritik an der ethnisch verstandenen aschkenasischen Hegemonie in diversen, u.a. kulturellen Bereichen des israelischen Lebens merklich forciert und dabei zumindest die althergebrachten („aschkenasischen“) Werte des Zionismus deutlich angekratzt. Die durch jahrzehntelange Diskriminierung und Unterprivilegierung geschulte arabische Minorität hat die Frage ihrer eigenen Selbstbestimmung in die politische Sphäre gebracht und unter dem Slogan „Israel – jüdischer Staat oder Staat all seiner Bürger?“ zugespitzt. Die durch Privatisierung und Kapitalisierung der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten immens vorangetriebene Öffnung der sozialen Schere tat zudem ein Übriges, um die ohnehin anomisch strukturierte israelische Gesellschaftsordnung zunehmend zu entsolidarisieren. Unerörtert sollen hierbei andere gravierende Momente bleiben, wie die in den 1990er Jahren erfolgte Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion und (in geringerer Zahl) aus Äthiopien oder die massive Einfuhr von Fremdarbeitern. Auch sie müssen gleichwohl als Symptome einer objektiv wachsenden Pluralisierung der israelischen Gesellschaft gewertet werden.

Was gemeinhin als Problem der „israelischen Identität“ apostrophiert wird, ist letztlich die auf den historischen Punkt gekommene Objektivation der im klassischen Zionismus bereits angelegten Widersprüche. Diese im innerisraelischen Konflikt durchzustehen, nimmt sich für viele Israelis als bedrohlich aus. Es könnte sich aber gerade in ihnen eine neue Chance ankündigen. Unabdingbar für diese wäre freilich der Frieden mit den Palästinensern und der übrigen arabischen Welt. Auch er dürfte sich, so gesehen, als gewichtiger Faktor bei der Konsolidierung der neuen israelischen Identität erweisen. Aber genau das ist es, was seit 2000, dem Jahr des Ausbruchs der zweiten Intifada infolge des Zusammenbruchs des Oslo-Prozesses, zu degenerieren begann. Während sich die inneren Identitätsbrüche im Verhältnis zwischen orientalischen und aschkenasischen Juden, zwischen Religiösen und Säkularen, zwischen Juden und Arabern sowie anderen Gruppen der israelischen Gesellschaft zu verhärten begannen, manövrierte sich der israelisch-palästinensische Konflikt zunehmend in eine historische Sackgasse und die Zukunft beider Kollektive in eine bedrohliche Perspektivlosigkeit. Im Falle Israels dürfte dies gravierende Auswirkungen auf das hier skizzierte Problem der Identität haben. Heterogenität der Identitäten ist zivilgesellschaftlich betrachtet kein Nachteil, sondern kann sich, ganz im Gegenteil, als Tugend erweisen: Das friedliche Mit- bzw. Nebeneinander kann durchaus zum Kriterium einer relativ freien Gesellschaft erhoben werden. Heterogenität ist dann ein Fluch, wenn sie als solche nicht anerkannt und akzeptiert wird, sondern zur Kampfarena um Macht, Herrschaft und Hegemonie partikularer Identitäten verkommt, mithin von einer ressentimentgeladenen Kultur getragen wird. Um sich dennoch „friedlich“ am Leben zu erhalten, bedarf so eine strukturelle Heterogenität stets der konsolidierenden Kraft einer Bedrohung von außen. Nicht zuletzt davon ist der israelisch-palästinensische Konflikt belastet: Er darf quasi nicht gelöst werden, solange er die äußere Kittfunktion für die im Inneren unvereinbaren Partikularidentitäten erfüllt.

Die reale Auswirkung dieses Grundumstands auf die Intensität der Identitätsbrüche ist gravierend. Denn die Erstarrung der Friedenssuche im israelisch-palästinensischen Konflikt resultiert vor allem aus dem Verhalten Israels: Wenn er als Territorialkonflikt verstanden wird, und als solcher ist er vor allem zu verstehen, dann obliegt es in erster Linie Israel, den Schritt zu initiieren, der diesen Konflikt zu beheben vermöchte, namentlich den Rückzug aus den besetzten Gebieten so zu bewerkstelligen, dass die Gründung eines souveränen palästinensischen Staates an der Seite Israels historisch erst eigentlich möglich wird. Da dies nun aber vonseiten Israels dezidiert nicht (bzw. lediglich als Lippenbekenntnis) gewollt wird, gerinnt das Bedürfnis nach konsolidierendem Druck von außen zur schieren Ideologie: Alle Kritik an Israels politischer Praxis als Besatzungsmacht wird als antizionistisch bzw. antisemitisch apostrophiert, so als seien Judentum, Zionismus und Israel und entsprechend Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik gleichzusetzen. Eine Identitätspolitik der Selbstwahrnehmung als Opfer einer immer und überall feindlichen Welt ist zum prädominanten Faktor der israelischen Außenpolitik und der von ihr lancierten Propaganda avanciert. Zugleich sind die inneren Friedensbewegungen Israels nahezu vollständig verkümmert. Nicht von ungefähr konnte Benjamin Netanjahu jüngst verkünden, dass Israel sich auf lange Sicht nur auf sein Schwert wird stützen können, mithin in ewiger Gewaltrealität wird existieren müssen, um somit die Identität des (vermeintlich) Frieden suchenden Staates mutatis mutandis umzuformulieren. Frieden ist im gegenwärtigen israelischen Politdiskurs nachgerade zum Schimpfwort verkommen – in einem Land, in dem „Frieden“ („Schalom“) als alltägliches hebräisches Grußwort gebraucht wird.

Zugleich flüchten sich immer mehr israelische Bürger ins Religiöse bzw. in das, was als Tradition dargestellt wird. Das hat nicht nur mit Realitätsflucht zu tun, wiewohl diese durchaus eine merkliche Rolle spielt, sondern auch mit der identitären Verstärkung des Eigenbildes als Protagonisten im Kampf gegen die Palästinenser. Man begnügt sich nicht mehr mit dem (wie immer gearteten) politischen Anspruch, die Besatzung zu legitimieren, wie es in den Anfangsphasen der Okkupation noch sein mochte, sondern verschreibt sich der irrationalen religiösen Rechtfertigung dessen, was – säkular betrachtet – sich durchaus auch als reales historisches Unrecht ins (Vor-)Bewusstsein vieler Israelis eingebrannt haben mag. Die meisten orientalischen Juden, die ohnehin zumeist aus traditionell-religiösem Haus kommen, sehen sich in dieser Entwicklung durch den inzwischen fetischisierten „äußeren Feind“ nur bestärkt. Bemerkenswert, wie die ursprünglich von ihrem geistigen Vater, Rabbiner Ovadia Joseph, auf Frieden eingeschworene Klientel der Shas-Partei mittlerweile unverhohlen dem identitären Rechtsruck der israelischen Gesellschaft folgt. Interessant dabei ihr Dilemma im Hinblick auf die kulturelle Identität: Der arabischen Kultur entstammend und diese in vielen ihren (jüdisch geprägten) Gebräuchen weiterhin zelebrierend, sind sie zugleich vorwiegend deutliche Träger der politischen Feindschaft gegenüber dieser Kultur. Auch viele aus der ehemaligen Sowjetunion stammende Bürger finden sich im rechten bzw. rechtsradikalen, palästinenserfeindlichen politischen Lager Israels. In ihrem Fall hat die identitäre Ausrichtung allerdings etwas mit dem aus ihrem Ursprungsland mitgebrachten antilinken Ressentiment zu tun – vielen von ihnen gilt schon die sozialdemokratisch-liberale Arbeitspartei (nicht von ungefähr jüngst in das „Zionistische Lager“ umbenannt) als „stalinistisch“.

Vieles an dieser Gemengelage von Identitätsbrüchen ließe sich durch eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts beheben. Ob das aber überhaupt – übers besagte Lippenbekenntnis hinaus – von den allermeisten Israelis gewollt wird, darf aus den dargelegten Gründen bezweifelt werden. Davon, was dies für die Zukunft des zionistischen Israel bedeuten mag, soll hier jedoch geschwiegen und der Blick stattdessen auf die Arbeiten Fischers zurückgelenkt  werden.

Kann Kunst eine solche Melange aus struktureller Vielschichtigkeit, gewundener historischer Entwicklung und heterogener Gesinnungsvielfalt einfangen? Nun, sie vermag es prinzipiell als das, was sie eben ist: spezifische Manifestation einer symbolischen Ordnung, in welcher sich Wesenhaftes in der Erscheinung, Allgemeines im Partikularen, Zeitübergreifendes im begrenzten Zeitraum niederschlägt, mithin Angeschautes repräsentiert wirdGerade in ihrem Als-ob vermag Kunst Wesentliches zu erfassen und konkret zu vermitteln. Roland Fischers Werk erbringt eine solche Leistung: Ihm gelingt es mit den Mitteln der Kunst zu dokumentieren, zugleich aber mit den Mitteln der Dokumentation Kunst zu schaffen; die individuelle Einzigartigkeit der Person zu wahren, zugleich aber auch das Eingebettetsein des Individuellen im Kollektiven anzuzeigen; die plurale Zusammenfügung von ideologischer Borniertheit, reflektierter Differenziertheit, Verzweiflung, Hoffnung, Ernüchterung und Sehnsucht panoramisch vorzuführen. Seine fotografierte und gefilmte Portraitheterogenität verweist auf Globales. Und doch handelt es sich um ein bemerkenswertes Werk über Israel, ja über Tel-Aviv, die in den letzten Jahren geschmäht-geliebte Stadt des „anderen Israel“.

 

Moshe Zuckermann ist ein israelischer Schriftsteller, Philosoph und Soziologe. Seine Forschungsinteressen gelten der Geschichte und Philosophie der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, der ästhetischen Theorie und Kunstsoziologie
sowie dem Einfluss der Shoah auf die politischen Kulturen Israels und Deutschlands.

Moshe Zuckermann, Israelische Identitätsbrüche
in: Roland Fischer „Tel Aviv – Israeli Collective Portrait“, published by Hirmer, 2016