Lutz Bernhardt, Dahinter liegt das Beklemmende

Kunst: Roland Fischers Bilderserie „Fassaden“ im Aachener „project.claus“

Dahinter liegt das Beklemmende

Von Lutz Bernhardt

Macht, Potenz, Kapital – Roland Fischers Bilderserie „Fassaden“ richtet den Blick auf die Physiognomie weltumspannender Wirtschaftsverflechtungen. Eine schöne und gleichzeitig rätselhaft beklemmende Schau im „project.claus“ in Aachen.

Zu den Bildern, die ins kollektive Gedächtnis des 21. Jahrhunderts eingegangen sind, zählt das der „Schwimmer“ vom 11. September 2001. Kurz bevor die Türme des World Trade Centers in New York einstürzten, sprangen die Menschen aus den Fenstern der Wolkenkratzer, weil die Hitze im Inneren des Gebäudes ihnen keine Wahl mehr ließ. Ein Publizist verglich die Bilder von den fallenden Körpern vor der Linienstruktur der Fassade mit Höhlenmalereien, die schwimmende Menschen in einer vergangenen Zeit abbildeten. Ein Bild von einer stillen, unfassbar grausamen Schönheit.

Abb.: Roland Fischer, World Trade Center, 2001  Eine der Oberflächen der globalen Finanzarchitektur wurde nach der Aufnahme zur Kulisse des Terroraktes. Foto: Roland Fischer

Als Roland Fischer im Jahr 2001 die Fassade des WTC fotografierte, da hatten die Attentäter die Gebäude längst als symbolisch starke Ziele ausgewählt. Sie wussten um die mediale Kraft, die die Bilder ihrer Zerstörung hervorrufen würden. Roland Fischer, einer der bekanntesten Fotokünstler unserer Zeit, erspürte offenbar auch das Kraftfeld dieser Fassaden, wenn auch in einem völlig anderen Kontext.

Eine Erkundung der globalen Architektur

Er lichtete das WTC im Rahmen seiner Serie „Façades“ ab. Eine Bilderfolge aus den Großstädten der Welt, aufgenommen von 1998 bis 2014, die Teile von Fassaden markanter Gebäude zeigt. Eine Erkundung der globalen Architektur. Die Wahrnehmung von Details im Strom eines gigantischen urbanen Bilderflusses. In der Aachener Galerie „project.claus“ des Künstlers Jürgen Claus werden nun 35 Bilder aus Fischers Serie gezeigt, zum größten Teil hochwertige fotografische Siebdrucke (Serigrafien), ergänzt durch drei Großformate.

Jürgen Claus und seine Frau Nora haben die Werke nach Aachen geholt. Eigentlich habe das Abstrakte in der Kunst des 20. Jahrhunderts bei ihm irgendwann zu gewissen Ermüdungserscheinungen geführt, sagt Claus. „Aber das faszinierende an Fischers Bilder ist, dass die Abstraktion durch die reale Welt zurückkommt.“

Die Bilder verraten nicht immer, wie groß die Fassadenflächen sind. Es fehlen Orientierungsmarken, etwa Fenster, Türen oder Bürgersteige. Das Motiv ist immer aus derGanzheit des Gebäudes seziert. So bleiben das Muster, die Linienstruktur, Schatten- und Farbflächen und manchmal auch technische Anlagen, z.B. einmal eine Art Lüftungsschacht.

Man fühlt sich erinnert an Farbflächenkompositionen von Mondrian oder an die De Stijl-Gruppe, etwa bei der Abbildung eines Fassadenteils der National Australia Bank in Melbourne. Oft wurde in der Bearbeitung der Bilder das spiegelnde Fensterglas durch Weiß ersetzt. Alles konzentriert sich auf das Konzept der jeweiligen Oberfläche.

Die Bilder legen Eigenschaften einer kraftstrotzenden Baukultur frei.

Und so richtet sich der Blick durch das Äußere der Gebäudehülle auf einen zunächst verborgenen Teil im inneren Konstrukt, ja im Wesen der Gebäude. Fischer legt in seiner Serie nämliche Attribute einer irritierend kraftstrotzenden Baukultur frei. Es ist, wenn man die Auswahl der Gebäude betrachtet, eine Leistungsschau kapitalistischer Architektur – Großbanken, Geschäftszentren, Verwaltungsgebäude.

Nimmt man die Ausstellung als „Ein visuelles ABC der globalen Architektur“, wie es die Ankündigung formuliert, dann will man unweigerlich ergänzen: der anonymen, kühlen Finanzarchitektur, die sich hier hinter Fassaden versteckt, die oft an Hochsicherheitstrakte erinnern. Kein Bild lässt auf den Ort, die Baukultur des Landes oder die verwendeten Materialien schließen. So fehlt ihm am Ende die Identität. Sie wird nur durch den Bildtitel hinzugefügt.

Die Ausstellung irritiert und fasziniert. Da ist der Eindruck einer wohlfälligen Ästhetik durch reduzierte Geometrien, Muster, Klarheit in Farben und Struktur. Aber das Gefühl von „praktischer“ Kunst wird gestört durch die Frage, was hinter der Hülle liegt. Da ist auch Beklemmung. Und das ist das Meisterhafte in den Arbeiten von Roland Fischer.