Interview Norbert Bauer und Roland Fischer

 
Norbert Bauer im Gespräch mit Roland Fischer
kunstbunker Nürnberg, am 24. September 1995
 
 
Norbert Bauer: Sie haben sich sehr früh und sehr konsequent für das
Medium Fotografie als Ihre künstlerische Sprache entschieden. Sie ha-
ben ferner für sich von Anfang an genauso konsequent das Portrait ge-
wählt. Wie kam es dazu?

Roland Fischer: Die Form des Portraits hatte sich damals mehr oder
weniger aus meinen fotografischen Arbeiten herausgeschält. Ich habe
dann zwischen 1979 und 1982 eine Serie von s/w-Portraits gemacht,
von ganz unbekannten Leuten und sehr bekannten Persönlichkeiten bis
hin zum Kaiser von Japan, den ich 1982 in Tokyo fotografiert habe.
Diese Reihe von Gesichtern war ein erster Versuch, über das Portrait
eine Art bildliche Abstraktion zu erreichen, zunächst jedoch ohne
irgendwelche besonderen Einflußnahmen, d.h. jeder wurde aus etwa
der gleichen Perspektive aufgenommen, der jeweilige Raum oder Hin-
tergrund belassen. Der großformatige Abzug ergab sich dabei ganz
natürlich, um zum Bildlichen zu kommen.
N.B.:
Das Gesicht wird gerne als Metapher für das zu Erkennende
in der Kunst genannt, für die Erfahrbarkeit von Erfahrung und von Au-
thentizität, ich zitiere da Tilman Osterwold.
Sie sprechen von Ihren Portraits als konzeptionellen Arbeiten. Warum
haben sie zum Beispiel Nonnen und Mönche gewählt, die so starke Bil-
der in uns hervorrufen und welche Rolle spielen dabei die Abstraktion,
Ihre konzeptionellen Gedanken?
R.F.:
Am Anfang jeder Arbeit steht bei mir eine formale Bildidee.
Meine Vorstellung war jetzt, daß das Gesicht isoliert, eingerahmt sein
sollte. Bei den Nonnen und Mönchen konnte ich auf eine bereits
vorhandene Reduktion zugreifen, nämlich die schwarzen und weißen
Flächen des Ordensgewands, die ich bei den Zisterziensern vorfand.
Bildmassen, die sich frei „verschieben“ ließen. Mir schien das nicht nur
vom Visuellen her ein geradezu prädestiniertes Sujet für die fotografisch-
bildliche Umsetzung zu sein, sondern auch inhaltlich, denn der monastische
Alltag bedient sich ja auch einer strengen Regelung und Formalisierung
bis hin zur räumlichen Konzeption einer Klosteranlage, mit dem Ziel
’soweit das möglich ist‘ zu einer inneren Freiheit zu gelangen und das
Materielle zu abstrahieren, also letztlich etwas, das auch in der Kunst
eine Rolle spielt. Hier kam für mich auch ganz logisch die erste Farbe
ins Spiel, nämlich der Hautton, während der Rest ja überwiegend im
Schwarz-Weißen verbleibt.
Bei den „LOS ANGELES PORTRAITS“ bin ich dann in Richtung Reduk-
tion noch einen Schritt weiter gegangen. Dort sollte die menschliche
Büste in eine monochrome Fläche eingebunden sein, wodurch sich der
Kontrast zwischen zwei ganz disparaten Formprinzipien, einem je nach
dem monochromen Blau bzw. Schwarz, d.h einer Fläche, die schon fast
mathematischen Charakter hat, und der natürlichen, kontingenten
Form des menschlichen Gesichts, noch erhöhen ließ. Das Spannungs-
verhältnis von Form und Freiheit, das dabei entsteht, ist mir sehr
wichtig.
N.B.:
Das Portrait hat eine sehr lange Geschichte und löst heute
für mich sehr ambivalente Gefühle aus. Auf der einen Seite gibt es die
extreme Entäußerung (Vermarktung), z.B. in Personalityshows, und auf
der anderen Seite, quasi genauso extrem, die völlige Verweigerung von
Öffentlichkeit, der völlige Schutz des Privaten. Was bedeutet für Sie
persönlich und für Ihre Arbeit die extreme Mediatisierung des Indivi-
duellen?
R.F.:
Dazu möchte ich vielleicht zunächst einmal sagen, daß mich
das „Abbildende“, also dokumentarische, reportagehafte usw. am Medi-
um Fotografie am wenigsten interessiert. Das ist natürlich mit Fotogra-
fie möglich, aber das machen andere. Mir geht es ausschließlich ums
Bild. Ich habe auch schon öfter gesagt, daß diejenigen meiner Bilder, in
denen das menschliche Gesicht vorkommt, eigentlich nur zur Hälfte
„Portraits“ sind, denn das Gesicht nimmt ja nur ungefähr die halbe Bild-
fläche ein; die andere Hälfte ist mir aber genauso wichtig. Insofern geht
es mir auch nicht darum, zu zeigen, wie viele verschiedene Individuen
es gibt, sondern eher zu fragen: Was ist das, das Individuelle.
N.B.:
Die Portraits haben eine ungeheure Präsenz, gerade auch hier
im kunstbunker und erzeugen dadurch wiederum eine große Distanz
zu den Portraitierten selbst. Wenn man nun diesen Bildern gegenüber-
steht, mit ihren formalen, abstrakten Elementen, dem Gesicht als Spie-
gel unseres Selbst, wird dieses uralte Spiel von Aktion und Reaktion
ausgelöst und es kommt über das Bild zu einer starken Wechselwir-
kung und Kommunikation mit einem selbst.
R.F.:
Ich glaube, dazu ist es wichtig, zu überlegen, wie Bilder gele-
sen werden. Meiner Meinung nach erschließt sich bei Bildwerken der
Inhalt über die Form, obwohl beides gleichzeitig da ist. Was ist eigent-
lich Form? Es scheint doch so, daß Form mit dem Visuellen eng verbun-
den ist. Und wenn man diese Beziehung weiter analysiert, kann man
vielleicht sagen, daß Sehen und Form letztlich synonym sind, daß also
Form aus ganzheitlichem Sehen entspringt. Diese Art von Wechselwir-
kung und Kommunikation, wie Sie sagen, würde ich mit „visuellem Den-
ken“ umschreiben.
N.B.:
Ich möchte noch einmal auf den Inhalt Ihrer Arbeit eingehen.
Die Bilder sind durch Ihre Konzeption sehr stark formalisiert und he-
ben dadurch das Gesicht, das Lebendige, wie Sie selbst sagen, beson-
ders hervor. Das Konzeptionelle ist sehr sehr stark. Alle Gesichter sind
sehr gefaßt, man kann auch sagen: einer starken Ordnung unterworfen.
Dadurch werden natürlich weitere Bilder in uns hervorgerufen. Inwie-
weit ist dieses Verhältnis, diese innere Welt – äußere Welt, diese innere
und äußere Wirklichkeit, diese Suche nach Ordnung, in Ihrer Arbeit
auch für sie selbst wichtig?
R.F.:
Der Mensch steht für mich zwischen Freiheit und Bestim-
mung. Analog dazu interessiert mich auf bildlicher Ebene ein ähnliches
Spannungsverhältnis zwischen, wie ich vorhin schon gesagt habe, Frei-
heit und Form, Freiheit und Eingebundensein. Dieses Wechselverhältnis
sehe ich jedoch nicht als etwas Dualistisches, sondern als etwas Dia-
logisches. Infolgedessen ist für mich der Begriff der Transparenz sehr
entscheidend, also wie sich die beiden Prinzipien ineinanderlegen. Wir
sind ja nicht nur Materie, nicht nur Idee. Vielleicht haben Bilder hier
eine wichtige Funktion: man kann auf ihnen Gegensätze, komplexe Zu-
sammenhänge, Innen und Außen als Ganzes erfassen.

veröffentlicht in: Roland Fischer, Kunstbunker Nürnberg 1995